Meine Erinnerungen an Tyssa
Wie war`s doch in unsrer Tise so schön,
sie lag auf der Höhe, weit konnte man sehn.
Sie war begrenzt von der kleinen und der großen Wand,
eine Kulisse wie gemalt, die dem Orte gut stand.
Der hintere Teil noch Erzgebirge bis zum „Roten Hübel“ war ländlich gehalten,
ab da begann das Elbesandsteingebirge und Tyssa begann sich mit Gaststätten, Geschäften, dem Hotel und den Villen gar prächtig zu gestalten.
Als „Sommerfrische“ war Tyssa bekannt,
in Böhmschen, wie im Dresdner Land!
Für die meisten Bewohner gab es Arbeit im Ort,
Knopf- und Metallwaren, auch Kartonagen wurden hergestellt,
so mancher Knopf ging nach Amerika in die neue Welt.
Ortsteile gab`s gar viele an der Zahl,
von der Brache bis in`s Tislochtal.
An Gaststätten war keine Not
und alle verdienten sie ihr Brot.
Viele kleine Kolonialwarengeschäfte waren im Ort verteilt,
man kannte einander, hat bisl verweilt,
es gab Olmützer Quarkeln, Mehl, Zucker, Graupen wurden abgewogen,
fein in Tüten verpackt – keiner wurde betrogen.
Der Kunzenkrens kam mit Gemüse hausieren,
die Streit Mili brachte frische Semmeln direkt in`s Haus,
die Butter-Franzi, beste Butter, ei der Taus.
Der Beil Seff verkaufte „Steffel-Sand“,
den er zammscharrte hinter der Wand.
Wie gut haben die Krenwürschtel unsrer Fleischer geschmeckt,
mit Rias-Senf, da war`s perfekt.
Vor Weihnachten kam eine Frau aus Eiland,
mit großem Huckkorb, sie selbst war sehr klein,
im Korb waren Schachteln voll Schokoladenfiguren, gefüllt gar fein.
Der Drogist Blechinger bediente selbst uns Kinder sehr galant,
was er anbot, war schon imposant,
vor allem in der Weihnachtszeit,
lagen Christbaumkugeln und Lametta bereit.
Neben Richterförsters war Edis Konditorei,
dort gab`s so mache Leckerei.
Gegenüber beim Feixe boten Rotschens an feine Stoffe und andere Textilien.
Beim Schiller-Gärtner bewunderten wir Dahlien, Nelken und auch Lilien.
Der Licht-Weckend verkaufte neben Lampen auch Radios,
mein Großvater staunte, wie funktioniert das denn bloß,
Musik ertönte aus allen Ritzen,
wo mögen nur die Männel sitzen?
Allzu lang her war es ja nicht,
da gab`s noch kein elektrisches Licht.
Schräg über der Straße beim Ottomar,
die hatten zwei Geschäfte gar.
Quälten uns Schmerzen, es ging uns nicht gut,
half mit viel Verständnis unser Dorfarzt Dr. Demuth.
War jemand gestorben, kam der Leichenwagen vor`s Haus,
ab da ging der Trauerzug mit Blasmusik bis zum Friedhof hinaus.
Eine aufregende Zeit gab`s zum Tisnerfest,
große, runde Kleckselkuchen wurden gebacken, die gehörten dazu;
denn da kam Besuch, weg war der Kuchen im Nu.
Doch dann kam das Beste,
fein angezogen ging`s flugs zum Feste.
Buden standen vom Volkshaus bis zum Fierbasse nunter,
man traf viele Bekannte, war gut aufgelegt, frisch und munter.
Zu kaufen gab`s gar Vielerei.
Klothosen, Spielzeug, Listerschürzen waren immer dabei.
Türkscher Honig durfte natürlich nicht fehlen,
es gäbe da viel noch zu erzählen.
Schaukeln, Schießbuden und Karussell
standen auf dem Platz neben dem Hotel.
Das absolut Schönste war für mich im Kettenflieger zu sitzen,
um die Wette zu fliegen mit dem Wind,
das war berauschend für mich als Kind.
In unsre Schule sind wir gerne gegange,
nur wenn`s Zeugnisse gab, da hatten wir Bange;
zurückblickend waren es die schönsten Zeiten,
wenn die Lehrer (Weber, Fleck, Salamon, Walter, Riedel, Webersinke) versuchten,
uns für`s Leben vorzubereiten.
Wie gelungen waren die Vitrinen im Flur gestaltet
und in der großen Turnhalle hat manch Talent sich entfaltet.
Und unser Kino, war das nicht toll,
jede Vorstellung war brechend voll.
Filme gab`s mit Rühmann, Lingen, Rudolf Prack,
in manchen sang gar Erna Sack,
spannend der „Tiger von Eschnapur“ und vom „Schwarzen Panter“
und voller Geheimnis und Sehnsucht sahn wir Zarah Leander.
An Pat und Patachon hatten wir Freude und Spaß,
egal ob man Rang, Loge oder unten saß!
Wer denkt nicht gern an den Ziegelteich
mit dem Turm, der Rutsche, den Ruder- und den flotten Paddelbooten.
Unvergessen auch der Messner Franz der mit Blechtute und seiner markanten Stimme,
die Boote wieder an`s Ufer holte,
der auch mal schimpfte, wenn einer nicht wollte.
Auch die Gaststätte am Teich in guter Erinnerung geblieben,
zeitweise wurde sie vom Habel betrieben.
An der Hauswand hing ein Automat, der hatte es den Kindern angetan,
fütterte man ihn eine Krone, legte die Henne ein Ei und fing zu gackern an.
Als Kinder haben wir versucht auf Stelzen zu laufen,
wem es gelang, der war stolz,
wir bauten gern Häuser und Türme mit Klötzeln aus Holz.
Tanzkaden zogen wir auf, damit im Kreise sie drehn,
beim Kullerschieben waren wir mit Nachbarkindern oftmals zu sehn
und mit einem Stock haben wir Reifen geschlagen, sind hinterher gerannt.
Wir spielten auch mal „Fritz komm mit“,
so hielten wir uns damals fit.
Der Boden auf den kleinen Feldern war steinig und karg,
viel gab er nicht her,
doch Arbeln, Korn, Gerste, Kraut und Rüben gediehen ganz gut,
was brauchten wir mehr.
Ein alter Brauch war zu Ostern, wenn Reiter die Felder umritten,
um gute Ernte zu erbitten.
Auf der Rodung nach Oberwald gab`s botanische Seltenheiten,
zwischen mageren Wiesenflecken,
konnte man Trunkelbeerbüsche (Rauschbeere), geflecktes Knabenkraut (Orchidee), Katzenpfötchen und heilsame Arnika entdecken.
In den feuchten Gebieten nach der Losche zu,
da wuchs Wollgras und Moosbeeren dazu.
Auf den steinigen Wegen zu unserm Entzücken
lag oft Katzensilber, man braucht sich nur bücken.
Bekannt war die Brache wegen ihrer hohen Schneeberge,
wir gruben Höhlen hinein, fühlten uns wie Zwerge.
Wenn der Wind vom Buchtendörf her kräftig bei Kartaks um die Ecke pfiff,
dann hatte er den frischen Schnee voll im Griff
und so waren oft über Nacht, die Straße und die kleinen Häuser zugeschneit,
dann gab`s kein Durchkommen, doch uns tat es nicht leid;
denn dann kamen die Leute von weit hergelaufen
und bestaunten unsere weißen Haufen.
Manchmal war auch die Eiskönigin zu Gast,
zauberte aus Tisner Nebel gepaart mit Frost,
herrlich anzuschauende Gebilde, den Bäumen zur Last.
Tyssa war dann ein Wintermärchen mit glitzernder Pracht,
vergleichbar mit filigranen Knöpfen beim Hiekenjust gemacht.
Im Juli 1945 klopfte es an vielen Haustüren, uns wurde befohlen
binnen zwei Stunden mit 30 Kilogramm Gepäck je Person beim Volkshaus einzufinden.
Nach eingehender Kontrolle (meinen 10 jährigen Bruder Karl-Heinz rissen sie das auf seinen Hosenträgern angebrachte Edelweiß ab), mussten wir uns in Richtung Peterswald Hellendorf in Bewegung setzen.
Es war ein kilometerlanger Trauerzug und niemand konnte es begreifen und fassen,
weshalb sollten wir die geliebte Heimat verlassen?
Groß oder klein, arm oder reich,
mit einem Schlag gab es keine sozialen Unterschiede mehr,
alle, ob Handwerker, Landwirte, Fabrikarbeiter, Geschäftsleute, Fabrikanten, waren gleich.
Wir, die wir damals Kinder und Jugendliche waren,
sind heute Senioren in gesegnetem Alter.
Unsre Tise können und wollen wir nicht vergessen.