Peterswald-Nollendorfer Heimattreffen 2007
„Treu der Heimat“ war auf dem Banner zu lesen, das auf der Bühne der Hainburger Turnhalle zwischen den Fahnen Deutschlands und des Sudetenlandes gespannt war, und unter dem am 30. Juni und 1. Juli 2007 sich etwa 100 Peterswalder und Nollendorfer Heimatvertriebene zum 25. Heimattreffen begegneten. Dieses Jubiläumstreffen war von den Heimatbetreuerinnen Edith Fischer, Liane Jung und Annelies Zechel vorbildlich vorbereitet worden.
Eröffnet wurde das Treffen vom Hainburger Kirchenchor mit 2 Liedern „Mauern überspringen“ und „Du mein schönes Erzgebirge“. Letzteres war die Erstaufführung eines von dem Peterswalder Franz Kliem komponierten Liedes, das zur Peterswald-Nollendorf Hymne erklärt werden sollte.
Annelies Zechel begrüsste die Teilnehmer, unter ihnen als Ehrengäste den Hainburger Bürgermeister Bernhard Bessel und den 2. Vorsitzenden des Landesverbandes Hessen des Bundes der Vertriebenen, Gerhard Klöcker. Danach gab sie einen kurzen Überblick über die Geschichte der Peterswalder Heimattreffen: Angeregt durch den inzwischen verstorbenen Rudi Tscherney trafen sich Anfang der fünfziger Jahre die vom heimatvertriebenen Peterswalder Fabrikanten Dittmeyer in die Umgebung von Hainburg gerufenen Peterswälder zum ersten Mal im Kleinen Kaisersaal der Gaststätte des heimatvertriebenen Peterswalder Gastwirts Karl Hacker in Klein Auheim. Nach Gründung der Perswalder Heimatgemeinde durch Franz Ritschel und Heinz Wolf fand ein zweites Treffen am 26.6.1959 unter grosser Beteiligung statt. Es war auch der Beginn einer Patenschaft zwischen Peterswald und Hainstadt, später Hainburg, das seitdem in zweijährigen Abständen ununterbrochen Gastgeber der Peterswalder und seit 1975 der Peterswald-Nollendorfer Heimattreffen wurde.
Bürgermeister Bessel begann sein Grusswort mit Zitaten von Friedrich Schiller: „Die Heimat ist wohl das Teuerste, was Menschen besitzen“ und des Heiligen Vaters: „Heimat hat geographische, kulturelle, geistige und religiöse Dimensionen. Sie gehört zum Menschen und seiner Geschichte und darf daher Niemanden genommen werden. Denn aus gesunder heimatlicher Verwurzelung schöpfen Menschen Lebensfreude, soziale Gestaltungskraft und Zukunftshoffnung. Ideologien, die Vertreibungen fordern oder rechtfertigen, richten sich gegen die Würde des Menschen.“ Er lobte der heimatvertriebenen Peterswalder und Nollendorfer Bekenntnis zur Heimat im Sinne Friedrich Schillers und Papst Benedikts des Sechzehnten und dankte ihnen für ihr zahlreiches Erscheinen nach mehr als 60 Jahren der Vertreibung in Hainburg zum diesjährigen Heimattreffen.
In Würdigung der Beiträge der Heimatvertriebenen zu Fortschritt, Versöhnung und Frieden, und ihrer historischen Leistung beim Wiederaufbau Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg zitierte Bessel die am 5. August 1950 unterzeichnete Charta der Heimatvertriebenen. Er bezeichnete den Verzicht der Heimatvertriebenen auf Rache und Vergeltung zu einer Zeit, in der noch alle Wunden offen lagen, als eine fast übermenschliche Leistung. „Mit diesem herausragenden Friedens- und Europamanifest, der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, wurde der Teufelskreis von Unrecht und Vergeltung aufgebrochen, nicht von auswärts durch Gewalt oder Druck, sondern durch die Opfer selber“ erklärte Bessel, und fuhr fort „Diese Selbstüberwindung, Selbstverpflichtung und der Wille zu einem friedlichen Neubeginn ist und bleibt eine besondere Leistung der Vertriebenen, die in der Geschichte ohne Beispiel ist, und die Dank und Anerkennung verdient.“
Ganz besonders würdigte Bessel das frühe, bereits im Jahre 1950 eingegangene Bekenntnis der Heimatvertriebenen zu Europa. Er zitierte aus der Charta: “Wir (Heimatvertriebene) werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können,“ und weiter: „Damit waren die Heimatvertriebenen die Ersten, die nach dem Schrecken des zweiten Weltkriegs auf Europa setzten. Denn diese Charta vom 5. August 1950 ist getragen vom Bau eines Europas des Rechts mit Verzicht auf Gewalt. Damit ist sie ein Dokument von hoher Verantwortung und von hohem europäischen Rang, das die Heimatvertriebenen zu Baumeistern Europas und zu Botschaftern der Verständigung und Versöhnung gemacht hat.“
(Bessels Worte regten beim Berichterstatter zwei Gedanken an: Erstens, die deutschen Heimatvertriebenen waren bereits 1950 europa- und friedensfortschrittlicher als es die Vertreiber heute sind; man denke an das Auftreten der Kaczynski-Zwillinge beim Europa Gipfel vor zwei Wochen, oder an das verzweifelte Festhalten an den rassistischen Benesch-Dekreten. Zweitens: Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen aus dem Jahre 1950 hat die Verleihung des Friedensnobelpreises verdient.)
Zum Schluss würdigte Bessel die Verdienste des Bundes der Vertriebenen während der vergangenen fünf Jahrzehnte sowohl auf Bundes- als auch auf Ortsebenen, Hainburg eingeschlossen, zur Wachhaltung der Erinnerung an die Heimat. Das geschah zum Teil zu Zeiten, in denen sonst Niemand über das Thema sprechen wollte und in denen die Erwähnung der Vertreibung zu Anfeindungen Anlass gab. Heute ist die Diskussion über Flucht und Vertreibung in den Medien und in der Politik so häufig wie selten zuvor, und die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ trägt diese Diskussion über Grenzen hinweg ins Ausland. Er betonte Bundeskanzlerin Merkels Bekenntnis zur Heimat indem er zitierte, was sie zum Tag der Heimat 2006 gesagt hat: „Wir müssen die Geschichte von Flucht und Vertreibung als Teil unserer gesamtdeutschen Geschichte ansehen. Dies gehört zum historischen Bestand unserer Nation und zu einer zukunftsfähigen Kultur des Erinnerns.“ Bessel betonte, dass Hainburg eine Patenschaft für die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ in Berlin übernommen hat.
Dem stimmte der Vorsitzende des Ortsverbandes Hainburg des Bundes der Vertriebenen, Gerhard Klöcker, zu. Er dankte der Bundesvorsitzenden des BdV, Erika Steinbach, für ihre Initiative zur Gründung der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, das zur Auflösung des Tabus der Vertreibung führte. Er gab seiner Freude über die zahlreiche Teilnahme am Treffen nach mehr als 60 Jahren Vertreibung Ausdruck und betonte die Bedeutung menschlicher Begegnungen für den Begriff Heimat, der nicht nur aus Bergen, Wäldern, Wiesen und Feldern besteht. Er verurteilte den Raub unserer schönen Heimat und die damit verbundene Entrechtung, Enteignung und Vertreibung durch brutale, staatliche Gewalt. Er fand Worte der Anerkennung für die Hilfe, die den Heimatvertriebenen von den Alteingesessenen während ihres schweren Schicksalsschlags zuteil wurde, was zu folgender Inschrift am Sockel der Schutzmantelmadonna in Sankt Wendelinus in Hainburg, die Schutz und Hilfe in der Not spenden soll, führte: „Wir danken für die Hilfe während der Not der Vertreibung 1945/46.“
Zum Schluss bekannte sich Landsmann Klöcker zur Erinnerungskultur und lobte das Engagement dafür des Peterswalder heimatvertriebenen, heute in Kalifornien lebenden Rudolf Pueschel. Pueschel dankte Klöcker für seine freundlichen, ermunternde Worte und versuchte, die Gründe für seine Verpflichtung zur Wahrheitssuche zu erklären. „Wer Zeuge eines Verbrechens wird, und nichts dagegen tut, macht sich der Täterschaft mitschuldig.“ Des Verbrechens gegen die Menschheit der Heimatvertreibung nach dem 2. Weltkrieg von 15 Millionen Deutschen (mit 2 Millionen Todesopfern), darunter 3 Millionen Sudetendeutschen und 2000 Peterswaldern, wurde er im Herbst 1989 gewahr. Die Zeitspanne von 43 Jahren zwischen Erlebnis und Verdammung der Heimatvertreibung erklärte er mit Verpflichtungen für Familie und Beruf, aber auch mit der Vertreibung 1946 in die sowjetische Besatzungszone, die später zur sogenannten Deutschen Demokratischen Republik wurde, wo Heimatvertreibung nicht nur tabu war, sondern nicht einmal erwähnt werden durfte.
Pueschel wies dann auf die ausgelegten, die Heimatvertreibung verurteilenden 5 Bücher und Broschüren hin, die er mitverfasst oder übersetzt und veröffentlicht hat, und machte auf Erinnerungsgegenstände aufmerksam, die er dem Museum in Seligenstadt vermacht hat und die dort ausgestellt sind. Sein grösster Beitrag zur Erinnerung an seine sudetendeutsche Heimat aber steht noch aus. Das ist sein Anteil, zusammen mit 20 seiner Heimatfreunde zur Restaurierung eines Barockkreuzes am Peterswalder Friedhof beizutragen. Das Kreuz ist 1796 zum ersten Mal eingeweiht worden, aber seit 1945 dem Verfall preis gegeben. Restauriert wird es im Frühjahr 2008 zum 2. Mal eingeweiht werden, um für die nächsten Jahrhunderte als Merkmal sudetendeutscher Identität Zeuge für die einstige Grösse Peterswalds zu bleiben.
Nollendorfs Heimatbetreuer Herbert Klepsch erinnerte an den 21. Juni 1959, als zum ersten Heimattreffen sieben hundert(!) Peterswalder erschienen, unter denen viele Jugendliche waren. Mit Wehmut stellte er fest, dass die Jugendlichen von einst betagt geworden und die Älteren von damals nicht mehr am Leben sind. Mit Bedauern stellte er fest, dass in den gelichteten Reihen kaum noch Jugendliche zu sehen sind. Den Grund dafür sieht er im Wohlstand, den die Heimatvertriebenen zwar mitgeschaffen haben, der aber ihren Nachkommen zu viel Abwechslung bietet und womit sie deshalb ihr Glück anderswo als in der Erinnerung an den Verlust der Heimat ihrer Eltern und Grosseltern finden können. Die Unmenschlichkeit des Davonjagens von Besitz und Heimat der Erlebnisgeneration ändert an diesem Sachverhalt nichts, meinte Klepsch. Wie die Geschichtssschreibung die Tragödie der Vertreibung einmal darstellen wird, wird die Erlebnisgeneration seiner Meinung nach nie erfahren. Als Trost bleibt, dass „Erinnerungen an unsere schöne Heimat das einzige Paradies sind, aus dem uns Keiner vertreiben kann.“
Renate von Babka versuchte, Landsmann Klepschs Sorgen zu zerstreuen. Als eine in Schwaben geborene Nachfahrin des Franz Beil (Elektro-Beil) aus Peterswald erklärte sie sich bereit, eine Nachwuchsförderung der Peterswald-Nollendorfer Heimatgemeinde zu gründen und auszubauen. Dabei geht es ihr darum, die Geschichte Peterswalds aufzuarbeiten, den Nachfahren historische Zusammenhänge aufzuzeigen, zu ergänzen und zu klären, eine Plattform der Kommunikation zu finden und den in der Welt verstreuten ehemaligen deutschen Einwohnern der Gemeinden Peterswald, Nollendorf und Umgebung eine Stätte der Begegnung zu schaffen. Immerhin spielte der Grenzort Peterswald in der Geschichte Böhmens eine Rolle, insbesondere zur Postkutschenzeit, und ebenfalls Nollendorf zur Zeit der Napoleonkriege, die aufzuzeigen für die Geschichtsschreibung bedeutungsvoll ist. Renate von Babkas Initiative ist lobenswert und verdient vollste Unterstützung aller, die das Verbrechen der Heimatvertreibung über sich ergehen lassen mussten. Sie unterstützt die Möglichkeit, dass nach Ableben der Erlebnisgeneration Nachkommen im Sinne der Charta von 1950 „verlangen, dass das Recht auf Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird.“
Die Teilnehmer labten sich an einer deftigen Gulaschsuppe mit Brötchen zu Mittag, und Kaffee und Kuchen am Nachmittag. Intensiv wurden Erlebnisse in Wort und Bild ausgetauscht, die den Tag auch diesmal wieder viel zu schnell vergehen liessen.