„Air Restaurant Petrovice“ auf den Trümmern meines Elternhauses

Das nach Peterswald transportierte und ins „Air Restaurant Petrovice“ umgewandelte russische Flugzeug scheint sich zu einer Sehenswürdigkeit Nordböhmens zu entwickeln.  Es ist auf Postkarten zu sehen, die auch die Geschichte des Flugzeuges schildern.  Wenn die kaum 50-jährige Geschichte dieses Flugzeugs von Interesse ist, dann müßte die des immerhin 200 Jahre bestandenen Hauses, auf dessen Trümmern es steht, von größerer Bedeutung sein; weil der Bau des Hauses mit einem interessanten Kapitel nordböhmischer Geschichte verknüpft ist, nämlich der für den Grenzort Peterswald so einträglichen Postkutschenzeit.

Durch Peterswald führte seit seiner Gründung im 13. Jahrhundert die ‚Salzstrasse’, auf der das lebensnotwendige Speisesalz vom Sorbenlande in der Gegend um Halle an der Saale nach Böhmen gebracht wurde.  Den Weg von Prag dorthin wies die Elbe bis Aussig.  Dort schnitt eine Strasse des Flusses östlichen Bogen ab, die über die Höhen des Erzgebirges durch Peterswald zur Saale führte.  Dieser Weg ist als einfacher Feldweg noch heute teilweise deutlich erkennbar und führte an einigen Stellen, so bei Peterswald, den Namen ‚Salzstrasse’.1

Über fünfhundert Jahre war die Handelsstrasse durch Peterswald ausschließlich als Salzstraße bekannt.  Seit Mitte des 18. Jahrhunderts führte sie auch den Namen ‚Poststraße’, denn 1752 hatten Böhmen und Sachsen vereinbart, einmal pro Woche in beiden Richtungen Postverkehr stattfinden zu lassen.  1754 wurde der Postverkehr verdoppelt, und später sogar täglich an jedem Wochentag durchgeführt.  1755 führte Österreich offiziell die Personenpost ein.  Peterswald sprhielt 36 Pferde.

Der rege Personen- und Frachtverkehr ließ das Dorf beachtlich wachsen.  Im Jahre 1830 hatte es bereits 375 Häuser und 2242 Einwohner.  Im Vergleich dazu hatte die Stadt Aussig zur selben Zeit nur 321 Häuser und 1759 Einwohner.  Den damit verbundenen Wohlstand spürte auch die nur 200 Meter vor der Staatsgrenze gelegene „Untere Schenke“, 2, die Gastwirt Hantschel den nun häufig bei ihm einkehrenden Fuhrleuten zu Ehren ins Gasthaus „Zum Schwarzen Ross“ umtaufte.  Das Gasthaus war auch als „Kastanienhof“ bekannt wegen des Baumschmuckes, der das Haus auf der Strassen- und südlichen Giebelseite umgab.  Von den einst 6 Kastanien steht heute noch eine und breitet jährlich im Frühjahr ihr Blütenkleid aus.

Als das „Schwarze Ross“ dem starken Reiseverkehr durch Peterswald nicht mehr gewachsen war, ließ Gastwirt Hantschel vor etwa 200 Jahren auf dem Grundstück, auf dem das „Air Restaurant Petrovice“ heute steht, ein Hotel erbauen.  Dieses Haus, das die Hausnummer 352 erhielt, war 45 Meter lang und etwa 20 Meter breit.  Auf zwei mal 900 Quadratmetern waren Hotel- und Wohnzimmer, ein Tanzsaal, Restauration, Keller und Stallungen zur Unterbringung von Zugpferden untergebracht.

Nach der Eröffnung der Staatseisenbahn Prag-Dresden am 6. April 1851 hatte die Poststrasse über Peterswald, die ehemals der kürzeste Weg von Dresden nach Prag und Wien war, ihre Bedeutung verloren.  Mein Ururgroßvater erwarb den Kastanienhof.  Das gegenüberliegende Hotel Nr. 352 wurde zuerst in eine Samtfabrik und später von meinem Großvater zur Metallwarenfabrik umgewandelt, 3 nachdem er das Haus käuflich erworben hatte.  Es wurde als „Knopffabrik Püschelmühle“ bekannt und lieferte, unter anderem, Druckknöpfe nach Rußland und Modeknöpfe nach Indien.   Nach des Großvaters Tode im Jahre 1927 erbte mein Vater allen Grundbesitz, so auch den Kastanienhof und das Haus Nr. 352, das 1934 mein Elternhaus wurde.  Nach dem Zusammenbruch 1945 wurde mein Vater mit Famlie und anderen 3 Millionen Sudetendeutschen durch die sogenannten  Benešdekrete erst entrechtet, dann enteignet, und am 27. August 1946 aus dem von ihm so sehr geliebten Peterswald vertrieben.4

Im Jahre 1991 besuchte ich mit meiner Mutter Peterswald.  Das Haus Nr. 352 stand schon lange nicht mehr.  Das Grundstück, auf dem es einst stand, war leer und mit Unkraut überwuchert.  „Was mögen die mit den Trümmern unseres großen Hauses gemacht haben?“ fragte meine Mutter.  Ich blickte zu Boden.  Wir standen auf einer kleinen Erhöhung oberhalb der Strasse.  Das Erdgeschoss des Hauses war einst ebenerdig mit der Strasse.  „Wir stehen auf seinen Trümmern“, vermochte ich ihr zu erklären.

Im Juni 2001 stand ich mit meiner Frau an fast der gleichen Stelle, an der ich 10 Jahre zuvor mit meiner Mutter stand.  Das Grundstück war gepflegt und vor uns stand das zum „Air Restaurant Petrovice“ umgewandelte Sowjetflugzeug.  Coca Cola war auf seinem Höhenruder zu lesen, und hektischer Fremdenverkehr tummelte sich im und ums „Air Restaurant Petrovice“.  Ich lud meine Frau zu einer Tasse Kaffee mit Apfelstrudel ein.  Sie weigerte sich, mit Tränen in den Augen, das Flugzeug zu betreten.  Ich verstand.  Wir standen nicht nur auf den Trümmern meines Elternhauses, sondern auch auf jenen eines beachtlichen Teils des Besitzes meiner Eltern, und ihres Glückes.