Ein Waidmannsheil für Tyssa!
Mein Berufswunsch war es von klein auf einmal Förster zu werden. Da mein Urgroßvater und Großvater bereits in dieser grünen Gilde tätig waren und auch mein Vater als passionierter Jäger in seiner Freizeit diesen schönen Beruf nachging, war mein Berufswunsch auch von dieser Seite bereits mit Vorbildern gefördert.
Gern denke ich daran zurück, wenn mein Vater mich bereits als Kind mit zu seinen Pirschgängen auf den Oberwald mitnahm. Dieses Forstrevier, welches der Familie Prokop Jäger und Söhne in Tyssa gehörte, in deren Metallwarenbetrieb mein Vater beschäftigt war, erstreckte sich bis an die Grenze nach Königswald und Nollendorf. Da der Wanderweg zum Oberwald, vorbei am Mühlteich, dem Försterteich und dem beliebten Ziegelteich für mich als Kind doch sehr weit war, durfte ich anfangs bei meinem Vater im Rucksack oder auf seinen Schultern einen Teil des Weges bequemer zurück legen. Vom Hochstand aus mit dem Fernglas die Tierwelt zu beobachten, war jedes Mal ein interessantes Erlebnis. Unvergessen bleibt auch das im tiefsten Wald errichtete kleine Blockhaus, welches mit einer rustikalen Ausstattung versehen war. Ein Herr Fuchsa aus Königswald, der als Heger in diesem Revier beschäftigt war, sorgte u.a. stets dafür, dass genügend Brennholz dort vorhanden war, um im Herd dieses Blockhauses gemütliche Wärme oder ein deftiges Mahl bereiten zu können. Wenn ich später dann als Jugendlicher mit meinem Vater dort übernachten durfte, damit wir frühzeitig das Erwachen von Natur und Wild auf dem Hochstand aus beobachten konnten, schmeckte das „Selbstgebruzelte“ viel besser als daheim. Gern denke ich auch danach zurück, wenn mir mein Vater ein Wasserrad bastelte, welches sich im Bächlein neben der Blockhütte emsig drehte, oder er mir aus saftigen Zweigen der Eberesche (Abschbeere) eine Trillerpfeife (Lillapfiebe) bastelte.
Nachdem ich in Bodenbach auf dem Krohhübel 1944 meine mittlere Reife bestanden hatte, ging mein Berufswunsch in Erfüllung. Ich konnte als Forstlehrling bei der „Fürstlich- Thun- Hohensteinschen Revierverwaltung in Tyssa, bei Herrn Oberförster Renger, meinen Dienst antreten. Da mein Großvater, als Oberförster im Ruhestand, auch stolz über meinen Dienstantritt war, schenkte er mir mein erstes Jagdgewehr mit Zielfernrohr. Mein Dienst machte mir große Freude, da ich dazu auch einen vorbildlichen „Lehrausbilder“ in Herrn Oberförster Renger gefunden hatte.
Nur die politische „Großwetterlage“ beunruhigte uns wohl alle zum Ausgang des Jahres 1944, als der furchtbare Krieg sich immer weiter an die Heimatgrenzen verschob und Tausende Opfer forderte. Kurz vor Weihnachten 1944 bekam ich als 16 Jähriger die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst, was gleichzeitig das Ende meiner Forstausbildung bedeuten sollte. Die letzten Tage meiner Ausbildungszeit sollten dabei die „spannendsten“ werden. Da wohl mein verehrter Herr Oberförster diese Zeilen nicht mehr lesen können wird, nehme ich mir den Mut, es zu erzählen. Ich bekam den Auftrag, bei einem Holzeinschlag das erreichte Ergebnis aufzunehmen und zog ausgerüstet mit Gewehr, Fernglas und Foto ab in das Revier Richtung Eiland. Als ich die Strasse überqueren wollte, sah ich auf der anderen Straßenseite ein Reh, welches mich nicht entdeckte. Zuerst betrachtete ich es durch mein Fernglas und dann zur Probe durch mein Zielfernrohr. Ich wusste, dass ich es nicht schießen darf, aber die Versuchung war sehr groß, sie wurde noch unterstützt, dass ich mit der Einberufung in der Tasche, wohl nie mehr so günstig zu einem Schuss kommen würde. Um mich zu beruhigen nahm ich mir vor, dass ich langsam bis fünf zählen werde. Steht dann das Reh immer noch dort, hat das „Los entschieden“. Ich zählte und bei „fünf“ hatte das „Los“ mit einem Blattschuss entschieden. Aufgeregt versteckte ich das Reh unter einem Reisighaufen, erledigte dann meinen Auftrag und zog abends mit meinem Freund Hermann, der in der „Waldvilla“ mit seinen Eltern und Geschwistern wohnte, mit einem Leiterwagen los, das Reh zu holen. Einige Tage gab es bei ihnen duftenden Rehbraten, von deren Herkunft keiner etwas wissen durfte.
Am Abend vor meinem Abmarsch in eine ungewisse Zukunft, „beichtete“ ich zum Abschied meinen Eltern meine Verfehlung. Da wir jedoch alle vom Abschiedsschmerz getroffen waren und ich dabei unter „Naturschutz“ stand, gab es kein Donnerwetter. Im Nachhinein denk_e ich, wenn es auch ein Verstoß gegen das Jagdgesetz damals war, hatte ich dieser großen, ausgebombten Familie aus Duisburg, eine kostbare Weihnachtsüberraschung beschert und ein halbes Jahr später hatten die „Sieger“ entschieden mehr Unheil in unserer schönen Heimat angerichtet.
Unsere Wohnanschrift bis zur Vertreibung 1945 nach Großenhain, Sachsen war in Tyssa Hausnummer 375, Kreis Tetschen-Bodenbach. Ich wurde als 16 Jähriger gleich vom Reichsarbeitsdienst zur Wehrmacht eingezogen und nach Italien an die Front verlegt, wo ich erst 1947 im November aus englischer Gefangenschaft zu meinen Eltern zurückkehrte.