Olympische Feuer


Von Willi End, 1972

Wir stehen mitten im Olympia-Jahr 1972.  Die Jugend der Welt rüstet sich zu friedlichem Wettkampf.  Die sportlichen Ziele: immer höher, immer weiter, immer schneller, werden auch diesmal wieder neue Triumphe feiern.  Voller Begeisterung werden wir an den Bildschirmen sitzen und die Ereignisse in München verfolgen.

Bilder der letzten Olympiade auf deutschem Boden werden sich dabei vergleichend in unsere Erinnerung drängen.  Damals, vor 36 Jahren, waren wir als Sudetendeutsche noch durch Staatsgrenzen vom Reich getrennt.  Die Breitenarbeit im Turnen und Sport aber lag bei uns, und auch das sollten wir nicht vergessen, wesentlich höher als im Reich.

Als bekannt wurde, dass das olympische Feuer auf seinem 300 km langen Weg von Athen nach Berlin an der Grenze unseres Heimatgebietes von einem sudetendeutschen Läufer einem Reichsdeutschen übergeben wird, war der Jubel besonders groß.  Was das für uns bedeutete, kann nur ermessen, wer die politischen Verhältnisse von damals noch in Erinnerung hat.  Bei einem „normalen“ Ablauf der Entwicklung wäre dies unmöglich gewesen.  Aber man schrieb 1936.  Das Ausland war bereits auf die „Sudetendeutsche Frage“ aufmerksam geworden.  Trotzdem bedurfte es noch zäher Verhandlungen, um die Teilnahme zu erwirken.  Der Schwimmverein „Hellas Tetschen“ setzte sich mit Berlin und Prag in Verbindung und hatte Erfolg.  Hier sei besonders Lm. Erich Klicpera erwähnt, der geschickt alles in Bewegung setzte, um dieses Ziel zu erreichen.

Sechs sudetendeutsche Läufer ( Hermann Seswick, Ing. Josef KlieberErich KlicperaAdolf GierschikKarl Simm und Karl Berger ) hatten das Glück, die Fackel mit dem olympischen Feuer durch ein Teilgebiet des deutschen Sprachraumes in der Tschechoslowakei tragen zu dürfen.  Hermann Jeswick übergab als Letzter die Flamme einem reichsdeutschen Läufer.  Die Übergabe erfolgte an der Grenze Peterswald-Hellendorf.

Es war ein ungeheurer Jubel und eine Begeisterung ohnegleichen.  Zu Tausenden säumten wir die Straßen.  Brieftauben wurden aufgelassen.  Weite Anmarschwege hatten wir geren in Kauf genommen, nur um mit dabei sein zu können.  Doch hören wir Hermann Jeswick selbst, der anschaulich darüber berichtet:

Einladung von Leni Riefenstahl

„Als der Lauf zu Ende war und ich mit meinem Stahlschaft, den jeder Läufer als Andenken behalten durfte, an der Reichsgrenze dem enteilenden Feuer Nachsah, hielt ein Auto neben mir.  Darin saß Leni Riefenstahl, die ja den offiziellen Olympia-Film gedreht hat.  Es gab Händeschütteln und freundliche Begrüßung.  Sie lud mich ein, nach Berlin zu kommen!  Ich bat, einen Freund mitnehmen zu dürfen, was auch bewilligt wurde.“

Die Fahrt nach Berlin

„Ich hatte weitere Bedenken.  In Berlin ist alles überfüllt.  Wie sollen wir hinkommen, wo sollen wir wohnen?  „Haben Sie keine Sorge“, meinte Leni Riefenstahl.  „Sie erhalten einen Olympia-Paß. Dann fahren Sie nach Berlin.  Sie werden sehen, wie das weiter geht.“  Das war an einem Freitag.  Dienstags sind wir in strömendem Regen nach Berlin gefahren.  Wir haben unsere Fahrräder benutzt, weil wir für eine Wanderfahrt nach Berlin, die über 800 km führen musste, eine Olympia-Medaille erwerben konnten.  Wir haben den Weg so ausgewählt, dass wir diese Kilometerzahl erreichten.

In Berlin hatten wir erst ein paar Schwierigkeiten, weil sie uns nicht reinlassen wollten.  Unser Anzug war auch etwas abenteuerlich.  Sie müssen sich vorstellen, wir waren in Lederhosen gefahren, hatten einen Janker an und einen Hut auf.  Ich habe mich dann aber im Büro beim Olympia-Stab gemeldet.  Und die haben schon gewusst, dass wir beide kommen.  Wir erhielten einen Ausweis.“

Logenplatz neben der Reichsregierung

„Natürlich wollten wir gleich in das Stadion.  Der Pförtner sagte uns: „Ihr Eingang ist an der Südfront“.  Nun, wir sind dann eben an dieses Tor gewandert.  Ein breiter Marmorweg war angelegt.  Eine Wachmannschaft stand davor.  Wir zeigten unseren Ausweis und wurden auf unseren Platz geführt.  Das ging Treppen hoch, die Treppen runter.  Oben standen Diener und Aufsichtspersonal.  Als wir auf die Tribüne kamen, saß da die ganze Reichsregierung.  Wir haben sie natürlich gleich alle erkannt.  Der Reichsführer kam auf uns zu und begrüßte uns.

Er hat zwar etwas verwundert dreingeschaut, als wir in Lederhosen dastanden, aber da wir den Pass hatten, ging alles in Ordnung.  Wir durften uns in die Loge setzen.  Gerade als wir uns setzten, passierte das Unglück beim Staffellauf der Damen.  Die Deutschen verloren den Stab und schieden aus.  Na, das war ein Verlust.  Adolf Hitler hat die vier Mädchen dann heraufkommen lassen.  Die haben natürlich bitterlich geweint.  Wir waren ganz in der Nähe.  Das war unser Erlebnis bei der Olympiade 1936.“

Fürstlicher Empfang im Quartier

„Unser Quartier lag nicht weit vom Stadion.  Es war ein Reservezimmer für besondere Gäste.  Die Dame, bei der wir wohnten, war genau so überrascht, als sie uns sah.  Sie hat uns fürstlich empfangen.  Wir haben uns vorgestellt und die Sache erklärt.  So waren wir hochwillkommen.  In einem Marmorbad erfrischten wir uns.  Das Wasser plätscherte aus Marmortauben.  Für uns war alles ganz phantastisch.“

Die Heimfahrt

„Nach der Olympiade sind wir mit unseren Fahrrädern noch quer durch Deutschland gefahren.  Über Rügen kamen wir auch nach Stralsund.  Damals habe ich nicht geahnt, dass ich fast auf den Tag genau 10 Jahre später wieder dort landen würde.  Als Heimatvertriebener.  Ich war 1946 überrascht, diese Stadt wieder zusehen.

Weil ich so an der Fackel hing, hat sie meine Frau bei der Ausweisung verpackt und in das Gepäck gesteckt.  Auch 1956, bei der Flucht aus der Ostzone, wurde sie auf abenteuerlichen Wegen in den Westen gebracht.  – Aus Tetschen – Altstadt kamen wir über Stralsund nach Ludwigsburg-Oßweil.  Mein Freund starb vor zwei Jahren in Waiblingen.  Mehr als 1000 Mark wurden mir schon für die Fackel geboten.  Obwohl es mir manchmal gar nicht gut ergangen ist, würde ich mich nicht für alles Geld der Welt von diesem Stück trennen.  Sie ist, neben ein paar Bildern, der einzige Besitz, den wir aus der verlorenen Heimat bewahren konnten.“

„Als Dank dem Träger“

Voll berechtigtem Stolz zeigt Lm. Jeswick seinen Besuchern den geretteten Stahlschaft, der ihm an diese Zeit erinnert.  „Als Dank dem Träger – Organisationskomitee für die XI. Olympiade Berlin 1936″ steht eingraviert in dem rostfreien Stahl.  Darunter die 3000 Km lange Strecke, die das olympische Feuer bei der letzten Olympiade vor dem Krieg genommen hat: Olympia – Athen – Delphi – Saloniki – Sofia – Belgrad – Budapest – Wien – Prag – Dresden – Berlin.

Damals wie diesmal stiftete die Firma Krupp die Fackeln.  Unsere Gedanken aber gehen zurück in das Land unserer Herkunft und mit den Bildern von damals erwacht in uns die Erinnerung an eine erlebte Zeit und mahnt uns, die Heimat nicht zu vergessen.  Unserem Lm. Jeswick und seinen Kameraden aber gilt heute noch unser Dank für den Staffellauf damals.

Willi End
1972